Was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Spitzenvertretern der drei baltischen Staaten an diesem Donnerstag beim Abendessen besprochen hat, blieb natürlich vertraulich. Aber die entscheidende Botschaft gab es ohnehin vor Beginn des 16-Augen-Gesprächs in Berlin: das Gruppenfoto mit Scholz, einem Präsidenten und zwei Ministerpräsidenten im Bundeskanzleramt. Es sollte untersreichen, was der Kanzler dazu in sein Mikrofon sprach: Wir sind geschlossen und entschlossen.“ Der Adressat: natürlich Moskau.
Darum geht es seit Tagen im diplomatischen Ringen mit Russland und den Versuchen, Präsident Wladimir Putin von einer militärischen Intervention in der Ukraine abzuhalten. Putin soll klar gemacht werden, dass er die Partner des westlichen Bündnisses nicht auseinanderdividieren kann. Dass er sich wenn, dann mit allen anlegt. Und die Bereitschaft der Balten, der Ukraine unmittelbar zu helfen, ist groß.
Beim Treffen in Kanzleramt funktionierte die Taktik. Die vier Spitzenpolitiker demonstrierten Einigkeit. Sie alle sprachen vom engen Bündnis. Dass es durchaus auch feine Risse in der deutsch-baltischen Phalanx gibt, zeigte sich in Berlin aber auch. Zum Beispiel vor dem Treffen in Kanzleramt beim Interview des litauischen Staatspräsidenten Gitanas Nauseda mit dem Nachrichtensender WELT.
Inzwischen hat sich der Kanzler sichtbar ins Spiel gebracht
Kanzler Scholz hatte sich lange in dieser diplomatischen Auseinandersetzung des westlichen Bündnisses mit Russland zurückhalten. Wo ist Scholz, fragte man – in Berlin, aber auch in den Hauptstädten der Partnerländer. Inzwischen hat sich der Kanzler sicht- und spürbar ins Spiel gebracht.
Am Montag beriet Scholz mit US-Präsident Joe Biden in Washington bei seinem Antrittsbesuch über das weitere Vorgehen in der Ukraine-Krise. Dienstag Abend dann mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Präsident Andrzej Duda in Berlin, also mit den Partnern des sogenannten Weimarer Dreiecks.
Donnerstag Abend kamen ebenfalls in Berlin Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine auf Beraterebene im Rahmen des Normandie-Formats zum Krisengespräch zusammen. Wenig später folgte die Runde der Balten mit den Kanzler. Berlin ist vom Beobachterposten zu einem der diplomatischen Hotspots geworden, an denen derzeit versucht wird, eine Lösung im Konflikt mit Russland zu finden.
Auch seine Tonart gegenüber Moskau hat Olaf Scholz inzwischen geändert. Nachdem der Kanzler zunächst vor allem Bedeutung von Gesprächen betonte, wiederholte er an der Seite der Balten die Losung von der Doppelstrategie“ gegenüber Russland: Verhandeln und wehrhaft bleiben. Deeskalation sei das Gebot der Stunde”, so Scholz. Aber: Russland sollte unsere Einigkeit und Entschlossenheit nicht unterschätzen.“ Und an die Adresse der drei baltischen Staaten erklärte der Kanzler: Wir nehmen die Sorgen unserer Verbündeten sehr. Wir stehen an Eurer Seite. Das ist mir ganz wichtig.“
Unser Bündnis muss in der Lage sein, rasch zu reagieren“
Das dürfte man in Litauen, Lettland und Estland aufmerksam zur Kenntnis genommen haben. Die Balten haben nämlich die Sorge, im Zuge der Ukraine-Krise ebenfalls in den Fokus Russlands zu gerten. Die drei Staaten sind klein, Estland und Lettland grenzen unmittelbar an die Russische Föderation, Litauen durch die Grenze zu Kaliningrad an russisches Territorium. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die östliche Flanke der Nato stärken“, sagte Litauens Präsident Nauseda. Unser Bündnis muss in der Lage sein, rasch und entschlossen zu reagieren in der Region“.
Lettlands Regierungschef Krisjanis Karins betonte, die EU und Nato müssten aus einer Position der Stärke heraus argumentieren“. Und dabei sei vor allem Berlin gefordert. Die Rolle Deutschlands sei dabei von grundsätzlicher Bedeutung“. Es sei sehr notwendig”, dass Deutschland eine führende Rolle übernehme, um die Mitgliedstaaten der EU und Nato durch diese schwierigen Zeiten hindurchzuführen, sagte Karins.
Die Frage ist, ob Kanzler Scholz und seine Ampel-Koalition willens und in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen – und ob das Regierungsbündnis in Berlin dafür einig genug ist. Zwar hat Scholz eine Aufstockung der Bundeswehrbeteiligung an Nato-Einsätzen im Baltikum in Aussicht gestellt. Deutschland sei dort präsent und wir sind auch bereit, alles Notwendige zu tun, um das zu verstärken“, so der Kanzler vor dem Vierertreffen. Das gelte auch für den Beitrag der Bundeswehr beim Air Policing – also bei der Luftraumüberwachung – im Baltikum und in südlichen Nato-Staaten.
Um ehrlich zu sein haben wir mehr erwartet“
Dennoch weigert sich die Bundesregierung weiterhin, der Ukraine selbst Defensiv-Waffen zur Verfügung zu stellen. Und die Regierung Estlands wartet weiterhin darauf, aus Berlin die Freigabe zu bekommen, neun Artilleriegeschütze aus ehemaligen NVA-Beständen an die Ukraine weiterreichen zu dürfen. Aber nach Informationen aus Regierungskreisen wird es diese Genehmigung selbst dafür nicht geben.
Um ehrlich zu sein haben wir mehr erwartet“, hatte Litauens Präsident Nauseda bereits vor Beginn des Treffens im Kanzleramt dem Nachrichtensender WELT gesagt. Aber wir verstehen natürlich die Gründe.“ Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland sei gegen Waffenlieferungen. Nauseda bezeichnete die Unterstützung Deutschlands dennoch als sehr wirksam“. Die zusätzlichen Soldaten, um die wir bitten, wären eine zusätzliche Verstärkung“, sagte er.
Und in noch einem Punkt gibt es Differenzen mit den Balten: Nord Stream 2. Nauseda sprach sich dafür aus, die Gaspipeline als Hebel“ zu nutzen, um einen Konflikt zu vermeiden. Ich möchte unseren deutschen Freunden nicht vorschreiben, was sie zu tun haben“, erklärte er. Aber wir haben uns von Anfang an sehr skeptisch zu Nord Stream 2 geäußert.“ Das Projekt sei sehr gefährlich“ und wirtschaftlich auch nicht sinnvoll“.
In Berlin ist man sich längst bewusst, dass Nord Stream 2 im Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine nicht in Betrieb gehen kann. Wir wissen um die geopolitische Dimension von Nord Stream 2. Deshalb ist klar, dass diese Option zu der Liste möglicher Sanktionen dazugehören muss“, sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, NiWELT-Bundestagsfraktion, NiWELT. Seitens der Bundesregierung offiziell sagen will das derzeit niemand.
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